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„Widerständige“ Bauteile für die Elektronik von morgen

Über Dekaden blieben der grundsätzliche Aufbau der Mikroelektronik und die verwendeten Materialien nahezu unverändert. Molekulare Memristoren verschmelzen nun Speicher und Prozessor für schnellere und energieeffizientere Rechner.

Konventionelle CMOS-Schaltkreise mit räumlich getrennter Datenverarbeitung und -speicherung verweigern sich zunehmend einer weiteren Leistungssteigerung. Deswegen suchen Forscher weltweit nach neuen Materialien und Architekturen für die Elektronik der Zukunft. Eine wichtige Rolle spielt dabei der sogenannte Memristor – ein englisches Kofferwort aus Memory (Speicher) und Resistor (elektrischer Widerstand).

Das zweipolige Bauelement weist zwischen seinen beiden Anschlüssen einen elektrischen Widerstand auf, der abhängig von der Menge und Richtung der angelegten Spannung variiert. Gleichzeitig hängt er von seinem Wert in der Vergangenheit ab und bleibt beim Ausschalten der Stromversorgung erhalten. Mit diesen Eigenschaften ersetzt ein einziger Memristor mehrere zusammen geschaltete Transistoren, die eine logische Funktion abbilden.

Damit aber noch nicht genug. Memristoren überwinden den sogenannten von-Neumann-Flaschenhals (Engpass zwischen Prozessor und Speicher), da Datenverarbeitung und -speicherung an einem Ort stattfinden. Und weil sie sich gegenüber Spannungsimpulsen ähnlich verhalten wie Synapsen gegenüber Nervenimpulsen, könnten sie die lang gesuchten Legosteine sein, die das Gehirn nachbilden können. Da liegt es nahe, dass sie auch beim maschinellen Lernen, in künstlichen neuronalen Netzen und beim neuromorphen Rechnen eine gute Figur abgeben. Allein die Entwicklung industrietauglicher Technologien zur Herstellung der spannenden Zweitor-Bauelemente bereitet nach wie vor Schwierigkeiten.

Das Fraunhofer ENAS setzt bei Entwicklungen memristiver Systeme zum Beispiel auf das Perowskit-Solarzellenmaterial Bismut-Ferrit (BiFeO3) während Molybdändisulfid (MoS2) als Grundlage für die atomdünnen „Atomristors“ der University of Texas in Austin dient.

Memristor-Molekül mit 5 Zuständen

Einen anderen Ansatz verfolgen die Wissenschaftler an der National University of Singapore (NUS). Sie entwickelten einen molekularen Memristor mit ganz außergewöhnlichen Eigenschaften.

Das Molekül lässt sich im Gegensatz zu herkömmlichen Memristoren nicht nur zwischen zwei sondern zwischen fünf unterschiedlichen Zuständen schalten. Und für diese fünf Schaltungen gibt es acht verschiedene Übergänge. Schon auf Molekularebene entstehen so komplexe Logiken.

Da die Ladungs- und Elektronenverteilung über vergangene Zustände Aufschluss gibt und mehrere Eingangssignale das Ausgangssignal bestimmen, können Memristor-Moleküle vollständige Entscheidungsbäume und typische logische Funktionen wie AND, OR oder XOR abbilden. Zudem entfällt die externe Speicherung in Register, da der Zustandsspeicher sozusagen Teil des Bauelements ist.

Die NUS-Wissenschaftler führten mit dem molekularen Memristor komplexe Berechnungen in einem einzigen Schritt durch, um sie darauffolgend für eine völlig andere Aufgabe „on-the-fly“ umzuprogrammieren. Ein einzelner molekularer Speicher könnte so die gleichen Rechenfunktionen schneller und energieeffizienter erledigen wie Tausende von Transistoren.

Die Technologie dürfte wohl zuerst in Smartphones, Sensoren oder anderen Anwendungen mit beschränkter Energieversorgung wie etwa dem Edge-Computing zum Einsatz kommen. Bis zur Marktreife ist aber noch eine ganze Reihe von Fragen wie etwa das Verhalten der Memristor-Elemente in nanometergroßen Schaltkreisen zu klären.

Knowledge Base

VDE ITG Informationstechnik: „Implications of Memristor Technologies for Future Computing Systems“ (2019)