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KI-Mütze mit telepathischen Fähigkeiten

Gehirn-Computer-Schnittstellen haftet immer noch ein Hauch Sci-Fi an. Dabei haben sie in den Bereichen Kommunikation und Neuroprothesenkontrolle längst ihre Machbarkeit auch praktisch bewiesen.

Mit spektakulären Erfolgen erobern Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain-Computer-Interface, BCI) zunehmend TV und Print. So berichtete die Fachzeitschrift Nature kürzlich von einer gelähmten Frau, die mit Hilfe eines Gehirn-Chips und KI-Avatars einer Forschergruppe aus San Francisco über 70 Wörter pro Minute sprechen konnte. Ein Gesunder kommt auf etwa das Doppelte. Und der ORF stellte letztes Jahr ein Implantat des Polytechnikums Lausanne (EPFL) vor, das einen weitgehend gelähmten Patienten sogar in die Lage versetzte wieder Treppen zu steigen.

Für Fachleute beweisen diese enormen Fortschritte, dass diese Neurotechnologie im klinischen Umfeld längst eine wenn auch noch nicht ausgereifte, so doch konkrete Kommunikations- und Steuerungsmöglichkeit für Personen mit Funktionseinschränkungen darstellt. Parallel dazu loten mittlerweile auch ambitionierte Start-ups das wirtschaftliche Potential von BCIs außerhalb der Krankenhäuser aus.

Invasiv, minimal invasiv oder nicht invasiv

Eine grobe Einteilung gängiger BCI-Implementierungen liefert die Eindringtiefe der Elektroden im Körper:

Invasiv: Direkt ins Gehirn oder auf die Hirnoberfläche implantierte Mikroelektrodenarrays detektieren Aktionspotenziale einzelner Nervenzellen in einem eng umschriebenen Hirnareal in hoher Auflösung.

Nicht invasiv: Elektroden auf der Kopfhaut erfassen die gesamte elektrische Aktivität eines Hirnareals via Elektroenzephalografie (EEG). Signale minderer Qualität, gemittelt über eine große Anzahl neuronaler Aktivitäten, sind allerdings der Preis für die unproblematische Handhabung.

Minimal invasiv: Elektroden gelangen in einer Art Stent über die Halsader ins Gehirn, wo sie die Signale einzelner Nervenzellen aufzeichnen.

Jede Methode hat ihre Grenzen was die zeitliche, räumliche oder frequenzbedingte Auflösung der aufgenommenen Signale angeht. Deren Dekodierung dagegen geschieht heute bei allen Implementierungen zunehmend durch künstliche Intelligenz. Moderne Machine-Learning-Algorithmen extrahieren dabei Informationen in einem bis vor kurzem noch unvorstellbaren Ausmaß aus den Gehirnströmen.

BCI in Richtung Konsumermarkt

Noch jedoch sind Patienten beim Training und bei der Nutzung von BCIs mit einer Reihe von Computern verkabelt und von Wissenschaftlern umringt. Jüngste Erfolgsmeldungen beziehen sich deshalb auch meist auf Einzelfallstudien mit monatelangen Trainingsphasen. Dazu kommt, dass jedes Gehirn anders „tickt“. Bis zu einer marktreifen, universellen BCI ist also noch ein Stück Weg zu gehen. Der aber scheint vorgezeichnet.

So hatte die US Food and Drug Administration (FDA) im November 2021 Produkte von Blackrock Neurotech für ein beschleunigtes Prüfverfahren zugelassen. Kernstück ist ein Mikroelektrodenarray, implantiert in die Hirnregion für die Steuerung von Bewegungsimpulsen. Als Investor mit an Bord ist Peter Thiel, der mit Elon Musk Paypal gründete.

Letzterer entwickelt mit seinem Start-up Neuralink ein ähnliches Gerät, das im Mai dieses Jahres die Zulassung für klinische Studien am Menschen erhielt. Als Studienteilnehmer meldeten sich angeblich bereits Tausende Menschen auf der Unternehmenswebseite an.

Ohne OP ins Gehirn

Es geht aber auch ohne Operation. Etwa mit Hilfe des Stents von der Stanford University wie er bei Gefäßverengungen zum Einsatz kommt. Bestückt mit Elektroden gelangt er über eine Halsader ins Gehirn.

Das von Gates und Bezos unterstützte US-Startup Synchron forscht an einer ähnlichen Methode. Ihre „Stentrode“ landet mit einem Satz von 16 Elektroden via Halsvene in der Vene oberhalb des motorischen Kortexes.

Weniger invasiv geht nicht

Körperlich nahezu unversehrt bleiben dagegen Probanten an der University of Technology Sydney (UTS). Dort entwickelten Forscher eine EEG-Kappe, die mit Hilfe des eigens entwickelten KI-Modells „DeWave“ Gedanken erfasst, entschlüsselt und in Text umwandelt.

Bisherige Technologien zur Übersetzung von Gehirnsignalen in Sprache setzen entweder eine chirurgische Implantation der Elektroden voraus oder das nicht alltagstaugliche Scannen in einem Magnetresonanztomografen (MRT).

Obwohl die Kappe nur „verrauschte“ EEG-Signale liefert übertrafen die Ergebnisse mit 40 Prozent den bisherigen Standard für Gedankenübersetzung via EEG um drei Prozent. Auf der Agenda steht nun das Niveau herkömmlicher Sprachübersetzungsprogramme von knapp 90 Prozent.

An nicht invasiven Methoden forscht auch das Cottbusser Start-up Zander Labs. Ende 2023 flossen dafür 30 Millionen Euro Förderung von der Cyberagentur des Bundes. Avisiert ist eine uneingeschränkte Mensch-Computer-Interaktion via EEG-Hauben oder einer Art Bügel hinter den Ohren, die Benutzererlebnisse personalisiert und die Effektivität autonomer Systeme verbessert.