Es klingt nach Science-Fiction und ist doch reale Medizintechnik. Winzige Implantate stimulieren gezielt Nerven im Körper um Krankheiten zu behandeln. Eine neue Generation dieser Elektrozeutika kommuniziert sogar mit Smartphones.
Die bioelektronische Therapie gehört zu den spannendsten Zukunftsthemen der medizinischen Forschung. Dabei ist sie naheliegend, beeinflussen doch neuronale Schaltkreise beinahe alle Zellen. Weite Teile unseres Körpers funktionieren also über elektrische Signale. Überschreibt man diese nun gezielt mit Hilfe von Mikroimplantaten, eröffnen sich alternative, nebenwirkungsarme Behandlungsmethoden.
In Herzschrittmachern, Cochlea- oder Retinaimplantaten findet die Stimulation durch Reizstrom schon länger Anwendung. Auch die Behandlung des peripheren Nervensystems durch elektrische Impulse wird bereits bei chronischen Schmerzen, Depression und Parkinson praktiziert.
Die neuen Mikroimplantate jedoch gehen darüber hinaus. Sie erzielen durch spezifische Manipulation der Signalweiterleitung im Körper eine Normalisierung krankhafter Organfunktionen. Zu diesem Zweck arbeiten sie drahtlos bei sehr geringem Energiebedarf unter Umständen ein Leben lang in Nerven, Muskeln oder Organen.
Die Herausforderung liegt darin unter Hunderten von Nervensignalen, die auf ein Organ einwirken, das richtige auszuwählen. Dann jedoch ist eine Beeinflussung über eine lange Strecke möglich. So verläuft etwa der Vagus – einer der längsten Nerven – vom Hirnstamm durch den Bauchraum um das Nervensystem des Darms mit dem Gehirn zu verbinden. Damit ist er an der Regulation fast aller Organe beteiligt.
Durch Stimulierung des Vagusnervs konnten etwa Elektroimplantate des kalifornischen Biotech-Unternehmens SetPoint Medical bereits die Produktion eines entzündungsfördernden Botenstoffes hemmen, was die Symptome rheumatoider Arthritis abmilderte.
Zukunftsthemen mit überdurchschnittlichem Potential rufen auch IT-Giganten wie Google und Co. auf den Plan. So flossen bereits 2016 mehr als 600 Millionen Euro in ein Joint-Venture (Galvani Bioelectronics) des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) mit der Google-Mutter Alphabet. Das Ziel: Die Entwicklung von Mikroimplantaten für das periphere Nervensystem. Letztes Jahr konnte dann erstmals ein Neurostimulator von Galvani Bioelectronics den Milznerv eines Patienten mit rheumatoider Arthritis positiv beeinflussen.
Hierzulande entwickelt der vom Bundesforschungsministerium geförderte Innovationscluster INTAKT eine neue Generation vernetzter Mikroimplantate, welche den Zugriff von außen via Laptop oder Smartphone erlaubt.
Drei Anwendungen stehen im Fokus: Behandlung von Tinnitus durch Stimulation der Cochlea, und Milderung von Motilitätsstörungen des Darms sowie die zumindest teilweise Wiederherstellung der Greiffunktion der Hand nach einer Querschnittslähmung.
Bei der Tinnitus-Applikation stimulieren Implantate das runde Fenster der Cochlea im Innenohr, modulieren so die Aktivitäten im Hörnerv und verrauschen dadurch das Phantomgeräusch. Um gastrointestinale Motilitätsstörungen zu beheben, erfassen im Magen-Darm-Trakt verteilte Implantate die Aktivitäten um über weitere Implantate einen störungsfreien Verdauungsprozess anzustoßen.
Komplexer ist die partielle Wiederherstellung der Greiffunktion. Dafür stimulieren bis zu zwölf Mikroimplantate die Unterarmmuskeln für eine Reihe von Handbewegungen. Der Patient kontrolliert diese über ein Eye-Tracking-System: Vorab definierte Augen-, Lid- und Kopfbewegungen geben Befehle an die zentrale Steuereinheit weiter, die dann entsprechend das Netzwerk orchestriert.
Die Sensoren und Aktoren werden direkt in ein Gehäuse integriert, wo sie über Funk und Infrarot interagieren. Das Fraunhofer IIS entwickelte dazu hochminiaturisierte ASICs, die Biosignale aus dem Armmuskel oder Darm erfassen und gleichzeitig passende Elektrostimulationen initiieren.
Bei einem Verbund aus Implantaten gestaltet sich die Energieversorgung besonders aufwendig, da je nach Beanspruchung unterschiedlichen Energieverbrauche auftreten. INTAKT setzt deswegen auf eine adaptive, induktive Ladung, die rund um die Uhr jedes einzelne Implantat mit Energie versorgt.
Erste präklinische Tests zeigten, dass die bislang entwickelten INTAKT-Applikationen funktionieren. Es gilt nun die Entwicklung in die klinische Anwendung zu überführen und sie für Patientinnen und Patienten nutzbar zu machen.