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Wenn Roboter recyceln: Wie KI & Automatisierung das Post-Use-Recycling neu definieren

Jedes Jahr entstehen weltweit Millionen Tonnen Elektronikschrott, der meist nur rudimentär recycelt wird. Laut Global E-waste Monitor 2024 waren es im Jahr 2022 rund 62 Millionen Tonnen, von denen nur etwa 22 Prozent nachweislich gesammelt und wiederverwertet wurden. Klassische Schredder- und Sortierverfahren dominieren noch die Praxis, stoßen aber an Grenzen, wenn es um hochwertige Rückgewinnung und echte Kreislauffähigkeit geht. Insgesamt ist es ein kostenintensiver, fehleranfälliger Prozess. Doch gerade darin liegt eine Chance: Mit KI und Robotik kann aus Post-Use-Recycling industrielle Realität werden. Aktuelle Forschungsprojekte und Prototypen zeigen, wie sich das erreichen lässt.

Vom Handgriff zur intelligenten Demontage

Was in klassischen Recyclingbetrieben bislang aufwendige Handarbeit war, soll künftig lernfähigen Robotern überlassen werden: das Auseinandernehmen komplexer Elektronikgeräte. Nach dem Lebensende eines Produkts erkennt eine Maschine Platinen, Gehäuse, Kabel und Verbindungselemente automatisch und plant eine geeignete Demontagestrategie, um Baugruppen sortenrein zu trennen.

Das Konzept ist keine reine Theorie mehr: Im Fraunhofer-Projekt iDEAR (Intelligent Disassembly of Electronics for Remanufacturing and Recycling) wird ein KI-gestütztes Robotersystem entwickelt, das Elektronikmodule analysiert und zerstörungsfrei demontiert. Im Februar 2025 führte das Team einen Demonstrator vor, der unter anderem die Hauptplatine eines PCs automatisiert aus dem Gehäuse löst. Grundlage dafür sind optische 3D-Sensorik, Spektraldaten, KI-Erkennung von Bauteilen und Verbindern sowie ein digitaler Demontage-Zwilling.

Herausforderungen beim Recycling von E-Schrott

Die Komplexität elektronischer Produkte stellt hohe Anforderungen an automatisierte Systeme. Ein Smartphone unterscheidet sich von einem Router nicht nur im Design, sondern auch im Materialmix und in Befestigungstechniken. Während bisherige Recyclingverfahren an dieser Vielfalt scheitern, ermöglicht künstliche Intelligenz den entscheidenden Fortschritt.

Modelle erkennen Komponenten und Verbindungselemente wie Schrauben, Clips oder Verklebungen, bewerten Zustände und übersetzen sie in Roboteraktionen. Multisensorik ist dabei zentral: 3D-Kameras und Spektralsensorik erfassen Geometrie, Oberflächen und Materialeigenschaften. Diese Daten fließen in den digitalen Zwilling ein, auf dessen Grundlage die optimale Demontagesequenz entsteht. Solche Systeme können selbstlernend arbeiten. Mit jedem demontierten Gerät wächst die Datenbasis, sodass sich Roboter kontinuierlich an neue Produkttypen anpassen. Der manuelle Demontageprozess wird damit zu einem reproduzierbaren, datengetriebenen Verfahren.

Weltweite Projekte und Initiativen

Nicht nur das Fraunhofer-Institut treibt Post-Use-Recycling voran. Weltweit entstehen parallel verschiedene Projekte und Anwendungen:

  • ReconCycle (EU-Projekt): Das Projekt entwickelte eine modulare, KI-gestützte Roboterzelle, die mithilfe von Softrobotik und Computer Vision Elektroschrott automatisch zerlegt. Besonders innovativ ist, dass sich das System selbstständig an unterschiedliche Gerätearten anpasst.
  • Recirculate (Finnland): Das Projekt entwickelt ein System zum Abbau von EV-Batterien in zwei Stufen von Pack zu Modul zu Zelle, bei dem der Roboter Schrauben erkennt, Kabelverläufe analysiert und Modelle für maschinelles Lernen zur Entscheidungsfindung nutzt.
  • Carnegie Mellon University (USA): Forscher der Carnegie Mellon University in den USA haben einen Roboter entwickelt, der einen Flachbildfernseher zerlegen kann.
  • AWS und Molg (USA): In den AWS Reverse Logistics in Pennsylvania werden KI-Roboter des Startups Molg eingesetzt, die die gezielte Demontage ausgemusterter Datacenter-Hardware testen, um Wiederverwendung und Recyclingquoten zu erhöhen.
  • Apple (USA): Der Recycling-Roboter Daisy kann gebrauchte iPhones zerlegen und recyceln.

Alle diese Ansätze weisen in dieselbe Richtung: weg vom Massen-Schreddern, hin zu selektiven, intelligenten Post-Use-Prozessen. Statt ganze Geräte zu zerkleinern, werden wertvolle Module gezielt extrahiert. Das ist eine zentrale Voraussetzung für hochwertige Sekundärrohstoffe.

Wirtschaftliche und regulatorische Implikationen

Automatisierte Demontage ist kapitalintensiv, rechnet sich aber perspektivisch über höhere Wiederverwendungs- und Rückgewinnungsraten sowie stabilere Qualität. Beispiele aus der Praxis melden bereits positive Effekte, belastbare Kosten-Nutzen-Daten sind jedoch noch rar.

Regulatorisch setzt die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) seit Juli 2024 den Rahmen: Künftige Regulierungen können für einzelne Produktgruppen Anforderungen an Reparierbarkeit, Demontierbarkeit, Rezyklierbarkeit und den Digitalen Produktpass festlegen. Die EU-Batterieverordnung verpflichtet ab Februar 2027 zu entnehmbaren und ersetzbaren portablen Batterien und ist damit gerade bei Consumer-Elektronik ein Treiber für demontagefreundliches Design.

Wer heute Geräte konstruiert, sollte die Zugänglichkeit von Verbindungselementen, Materialkombinationen und Datentransparenz von Beginn an berücksichtigen. Ein Zusammenspiel von Produktdesign, bei dem Recycling bereits mitgedacht wird, KI-gestützter Robotik und Recycling-Logistik könnten ein wichtiger Schlüssel in der Kreislaufwirtschaft sein.

Hürden auf dem Weg zur industriellen Umsetzung

Bis solche Systeme zum industriellen Standard werden können, warten noch einige Herausforderungen auf sie. Die Heterogenität der Altgeräte bleibt ein zentrales Problem. Viele Geräte sind verklebt, verschweißt oder enthalten Mischmaterialien, die nur schwer automatisiert zu trennen sind. Wirtschaftlich verlangt Präzisionsrobotik hohe Anfangsinvestitionen und ausreichend Volumen, um Skaleneffekte zu heben. Zusätzlich fehlen durchgängige Datenstandards für Stücklisten, Verbindungsarten und Materialdaten, die die Basis dafür bilden, dass KI-Modelle und digitale Demontage-Zwillinge breit funktionieren.

KI und Robotik machen das Post-Use-Recycling jedoch planbar, präzise und perspektivisch wirtschaftlich. Projekte wie Fraunhofer iDEAR zeigen, dass zerstörungsfreie Demontage kein Zukunftsversprechen mehr ist, sondern technologische Realität.

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