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Wenn Komponenten digital sprechen: Der EU Digital Product Passport kommt

In den kommenden Jahren sollen immer mehr Produkte in der EU eine eigene digitale Identität tragen. Der Digital Product Passport (DPP), den die Europäische Kommission im Rahmen der Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) einführt, soll Informationen zu Herkunft, Materialien und Nachhaltigkeit für jedes Produkt verfügbar machen – und wird langfristig auch in der Elektronikbranche für Veränderungen sorgen.

Der Pass als digitale Identitätskarte

Mit dem im April 2025 veröffentlichten Arbeitsplan 2025–2030 konkretisiert die EU-Kommission, welche Produktgruppen als Erstes unter die Ecodesign for Sustainable Products Regulation (ESPR) fallen: Stahl und Aluminium, Textilien, Möbel, Reifen und Matratzen. Für elektrische und elektronische Geräte sind vor allem horizontale Anforderungen in Vorbereitung – etwa zur Reparierbarkeit sowie zur Rezyklatquote und Recyclingfähigkeit von Elektro- und Elektronikgeräten. Der konkrete Pflichtumfang und die Fristen werden erst mit den delegierten Rechtsakten festgelegt, die laut Arbeitsplan ab 2026 schrittweise kommen. Viele technische Details wie Datenmodelle, Schnittstellen und Zertifizierung befinden sich noch in Konsultation.

Produkte sollen künftig entlang ihres gesamten Lebenszyklus vom Rohstoff bis zum Recycling nachvollziehbar sein. Im Digital Product Passport werden daher künftig Informationen zu technischer Leistung, Materialherkunft, Reparierbarkeit, Recyclingfähigkeit und Umweltauswirkungen elektronisch bereitgestellt. Diese Daten sollen von Herstellern, Marktüberwachungsbehörden und – wo vorgesehen – auch Verbrauchern abgerufen werden können. Welche Informationen ein DPP enthalten muss, legt die EU produktabhängig und nach Konsultation der Industrie fest. Ziel ist es, Produkte langlebiger, energieeffizienter, reparierbarer und kreislauffähiger zu machen.

Komponenten geraten ins Zentrum

Auch wenn es für elektronische Bauteile bislang keine explizite Regelung gibt, rücken sie zunehmend in den Fokus. Denn viele der im Arbeitsplan genannten Anforderungen, etwa zu Materialherkunft oder Recyclingfähigkeit, lassen sich nur erfüllen, wenn Informationen über alle Komponenten vorliegen. Für Hersteller von Leiterplatten, Sensoren oder Modulen wird daher mittelfristig entscheidend sein, Material- und Herkunftsdaten strukturiert bereitzustellen. Das EU-Projekt CIRPASS-2, gestartet im Mai 2024, entwickelt hierzu Pilotprojekte und Datenmodelle, unter anderem für elektrische und elektronische Geräte.

Für Unternehmen außerhalb Europas entsteht parallel Handlungsbedarf. Der DPP wird zur Marktzugangsvoraussetzung, sobald ihre Produktgruppe von der ESPR erfasst ist. Exporteure müssen dann produktspezifische Datensätze bereitstellen und über maschinenlesbare Schnittstellen zugänglich machen.

Gemeinsame Datenbasis: Standardisierung als Schlüssel

Damit die Produktpässe sektorübergreifend funktionieren, sind interoperable Standards entscheidend. Das internationale Netzwerk GS1, bekannt durch globale Identifikationssysteme im Warenverkehr, arbeitet mit der EU-Kommission und der CIRPASS-2-Initiative an der Datenarchitektur des DPP.

Zentrale Grundlage ist der GS1 Digital Link, der bestehende GS1-Identifikatoren wie die Global Trade Item Number (GTIN) mit digitalen Produktinformationen verknüpft. So können DPP-Daten eindeutig referenziert und über verschiedene Datenträger wie QR-Code, GS1 DataMatrix, RFID-Tag oder NFC-Chip abgerufen werden. Das zugrundeliegende Global Data Model (GDM) sorgt dafür, dass Produktattribute wie beispielsweise zur Zusammensetzung, Herkunft oder Nachhaltigkeitsinformationen weltweit konsistent strukturiert und maschinenlesbar bleiben. Für die Elektronikbranche wird entscheidend sein, wie sich bestehende Industriestandards in diese Architektur einfügen lassen.

Mögliche Brücken zum DPP in der Elektronikfertigung

In der Elektronikfertigung könnten etablierte Standards wie IEC 62474 (Materialdeklaration) und IPC-1752B (Materialdatenaustausch) als Brücken zwischen Bauteildaten und Produktionssystemen dienen und so die Anbindung an künftige DPP-Datenmodelle erleichtern. Für Ereignisdaten entlang der Lieferkette bietet EPCIS 2.0 von GS1 einheitliche Schnittstellen. Parallel dazu kommt RFID (Radio-Frequency Identification) im Ultrahochfrequenzbereich (UHF), auch als RAIN RFID bekannt, bereits in Pilotprojekten zum Einsatz. Sie ermöglicht die automatisierte Verknüpfung physischer Komponenten mit digitalen Pässen und gilt als vielversprechende Technologie insbesondere für Anwendungen in der Elektronikfertigung.

Technische und organisatorische Herausforderungen

Der Erfolg des Produktpasses hängt von offenen, interoperablen Systemen und klaren Sicherheitsstandards ab, wie zahlreiche Unternehmen betonen, die an der öffentlichen Konsultation der EU teilnahmen. Wichtig ist dabei auch eine europaweit einheitliche Zertifizierung von DPP-Providern. Datenzugriffe sollten transparent und zielgerichtet erfolgen, sodass sensible Informationen nur dort geteilt werden, wo sie regulatorisch und ökologisch relevant sind.

Eine weitere Herausforderung ist die Langzeitverfügbarkeit von Daten über Jahrzehnte hinweg. Ein DPP muss während der gesamten Nutzungszeit eines Produkts abrufbar und aktualisierbar bleiben, auch nach Reparaturen oder Updates. Für die Praxis bedeutet das: Hersteller müssen nicht nur Daten erfassen, sondern auch Prozesse schaffen, die sie pflegen. Das stellt hohe Anforderungen an Datenpflege und Versionierung, insbesondere bei langlebigen Industrie- und Medizintechnikprodukten.

Für viele Unternehmen bedeutet der Aufbau entsprechender Strukturen zunächst Investitionen, die vor allem kleinere Betriebe belasten könnten. Die Kommission will hier mit verlängerten Übergangsfristen und gezielter Unterstützung entgegenwirken.

Von der Theorie zur Umsetzung

Erste Lösungsansätze zeigen, wie DPP-Daten in bestehende Produktinformationssysteme integriert werden können. Daraus entsteht ein neues Service-Ökosystem. „DPP-as-a-Service“-Plattformen übernehmen Hosting, Datenintegration und Validierung. So lassen sich künftige Dokumentationspflichten in vorhandene Unternehmenssysteme einbinden, ohne die IT-Architektur neu aufzubauen.

Der digitale Produktpass wird so zum strategischen Rahmen und das nicht nur für Compliance, sondern auch für Transparenz und Nachhaltigkeit. Für Elektronikhersteller bietet sich die Chance, ihre Produkte frühzeitig auf kommende Anforderungen vorzubereiten und sich als vertrauenswürdige, nachhaltige Partner in zunehmend ESG-getriebenen Lieferketten zu positionieren. Der Digital Product Passport ist kein ferner Zukunftsplan mehr, sondern der nächste Schritt zu einer datengetriebenen Kreislaufwirtschaft.

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