Mit vielen Milliarden will sich Europa bei Halbleitern unabhängiger machen. Ziel ist die Verdoppelung des weltweiten Chipmarktanteils von 10 auf mindestens 20 Prozent bis 2030. Den Optimismus teilen jedoch nicht alle.
Europa ist in hohem Maße von Chips aus Asien und den USA abhängig. Von den weltweit produzierten Halbleitern im Wert von 580 Milliarden US-Dollar kamen 2020 nur knapp zehn Prozent aus der EU. Die Folgen traten während der Corona-Pandemie deutlich zu Tage: Versorgungsengpässe bis hin zu -unterbrechungen in der Industrie und anderen strategischen Sektoren wie Gesundheit, Verteidigung oder Energie. Bedrohlich ist auch, dass vor dem Hintergrund wachsender geopolitischer Spannungen die Halbleiterfertigung zunehmend strategischen Zielen dient. Eine Entwicklung, die durch die unvermindert große Nachfrage nach Mikrochips weiter befeuert wird.
Der ZVEI erwartet für den globalen Halbleitermarkt bis 2030 eine Verdoppelung der Umsätze auf eine Billionen US-Dollar. Dabei bleibt langfristig der Bedarf an Chips - besonders in den für die Märkte Auto und Industrie relevanten Strukturgrößen – ungebrochen hoch. Digitalisierung und grüne Transformation treiben dieses Wachstum zusätzlich.
Zur Deckung der steigenden Nachfrage und zur Stärkung der gesamten Halbleiter-Wertschöpfungskette soll nun der „EU Chips Act“ den europäischen Weltmarktanteil bis 2030 von derzeit 10 auf 20 Prozent verdoppeln.
Dem Bitkom zufolge ist die Unterstützung der europäischen Halbleiterindustrie längst überfällig. Und die avisierten 43 Milliarden Euro, von denen nur 3,3 Milliarden aus dem EU-Budget kommt und der Rest aus öffentlichen sowie privaten Töpfen, machen sich vergleichsweise gering aus. Schließlich umfasst der US Chips Act von 2022 ein Investitionsvolumen von etwa 52 Milliarden US-Dollar. Und die chinesische Regierung wird bis 2025 Schätzungen zufolge 150 Milliarden US-Dollar in seine Halbleiterindustrie stecken. Europa ist also vergleichsweise spät dran und „knausert“ mit den Mitteln. Umso wichtiger wird eine rasche Umsetzung sein.
Konkret könnten Verzögerungen Intels 17 Milliarden Euro teure Fabrikpläne in Magdeburg gefährden. Dort sollen ab 2027 Chips der neuesten Generation vom Band rollen. Nach Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) stellt die Verabschiedung des Chips Act eine neue Rechtsgrundlage für die Zahlung notwendiger Subventionen dar, ohne die eine Ansiedlung entsprechender Unternehmen nicht möglich sei.
Die ist andernorts bereits im Gange. So fand erst kürzlich der Spatenstich für ein 5-Milliarden-Werk von Infineon am Standort Dresden statt. Der Konzern baut eine 300mm Smart Power Fab für Analog/Mixed-Signal-Technologien und Leistungshalbleiter. Die Kombination erlaubt besonders energieeffiziente und intelligente Stromversorgungslösungen.
Auch der US-Konzern Wolfspeed – Marktführer bei Siliziumkarbid (SiC) – und Galliumnitrid (GaN)-Technologien – investiert in Deutschland. Im Saarland fließen 2,75 Milliarden Euro – ein Großteil als Subventionen – in das weltweit größte Werk für SiC-Leistungshalbleiter. An der Fabrik beteiligt sich der Getriebehersteller ZF mit einem Minderheitsanteil.
Nicht alle sind vollkommen glücklich über den EU Chips Act. So moniert etwa der ZVEI, dass es sich bei den vorgesehenen 43 Milliarden Euro nur zu einem kleinen Teil um vollständig neu allokierte Finanzmittel handelt. Gelder etwa für den Bereich Forschung und Entwicklung resultieren aus Verschiebungen von bereits eingeplanten Fördersummen. Außerdem sei der Fokus auf Strukturgrößen unter zehn Nanometer zu eng gewählt und gehe am Bedarf der europäischen Abnehmerindustrie vorbei. Denn schließlich tragen Leistungselektronik und Sensorik entscheidend zum Gelingen der grünen und digitalen Transformation bei.
Auch der VDMA sieht bis Ende 2030 den Bedarf etwa des Maschinenbaus – einer der größten europäischen Industriebereiche – in Strukturgrößen oberhalb der 16 Nanometer. Der Schwerpunkt dürfe deshalb nicht nur auf Fabriken für 2 Nanometer-Chips („Cutting-Edge-Chips“) liegen, sondern müsse die europäische Industrie in seiner ganzen Breite abbilden.